Forschungsschwerpunkte AG Wirth, Uniklinik Köln - Institut für Humangenetik
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- Kategorie: Grundlagenforschung
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Forschungsschwerpunkte
A. Molekulargenetik und -biologie der spinalen Muskelatrophie (5q13)
- Molekularbiologische und funktionelle Untersuchung der survival motor neuron (SMN)-Gene und der SMN-interagierenden Proteine bei der autosomal rezessiven spinalen Muskelatrophie
- Aufklärung des alternativen Spleißweges von SMN2
- Entwicklung eines therapeutischen Ansatzes für SMA-Patienten basierend auf der Aktivierung des SMN2-Gens.
- Suche nach SMA-modifizierenden Faktoren
Ergebnisse und Ziele
SMA wird durch homozygote Mutationen im SMN1-Gen (5q13) verursacht
Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist die zweithäufigste rezessive Erbkrankheit und die häufigste Todesursache im Kindesalter. Die SMA wird in ca. 96% durch homozygote Deletionen/Mutationen des survival motor neuron Gens (SMN1) verursacht. Der Verlust des SMN1-Genproduktes führt zur Zerstörung der alpha-Motoneuronen im Rückenmark, wodurch es sekundär zur Muskelschwäche und Atrophie der proximalen Arm- und Beinmuskulatur und später der gesamten Rumpfmuskulatur kommt.
SMN2 wird durch eine einzige stille Mutation im Exon 7 alternativ gespleißt
Eine zweite, fast identische Kopie, SMN2, unterscheidet sich im kodierenden Bereich durch lediglich ein Nukleotid von SMN1, wobei der Austausch keine Aminosäureveränderung hervorruft. Der homozygote Verlust von SMN2 führt nicht zu einem klinischen Phänotyp. Daher muss man sich fragen, warum homozygote Deletionen des SMN1-Gens, nicht jedoch des SMN2-Gens, SMA verursachen? Wir konnten zeigen, dass die Transition C zu T im Codon 280 (Exon 7) zur Zerstörung eines exonischen Spleißverstärkers (exonic splicing enhancer) führt und ursächlich für das, vorwiegend vom SMN2-Gen produzierte, alternativ gespleißte SMN2 Transkript (SMN2delta7) ist. Dieses verkürzte SMN2-Protein ist funktionell nicht äquivalent mit dem Volllänge-SMN-Protein und kann somit das Fehlen von SMN1 nicht kompensieren.
Da jeder Patient mindestens eine SMN2-Kopie trägt, haben wir uns gefragt, ob das alternative Spleißen durch Spleißfaktoren reguliert werden könnte. Wir haben den ersten trans-aktivierenden Spleißfaktor, Htra2-beta1, identifiziert, der mit ansteigender Konzentration eine in vivo Umwandlung des SMN2-Spleißmusters in Zellkulturen bewirkt. Dabei entstehen über 80% Volllängetranskripte und weniger als 20% alternativ-gespleißte SMN2-Transkripte. Weitere in vivo Spleißexperimente mit im Exon 7 mutierten Minigenen sowie RNA-Protein- Bindungsexperimente ermöglichten uns, die genaue RNA-Protein-Interaktionsdomäne zu ermitteln. Es handelt sich um eine GA-reiche Domäne mitten im Exon 7. Eine ähnliche Heraufregulierung der vom SMN2-Minigen erzeugten Volllängetranskripte, war sowohl in menschlichen als auch in Mauszellen zu beobachten.
Darüber hinaus ist es uns gelungen, weitere an der Regulation des SMN2 Exon 7 Spleißens beteiligten Proteine - hnRNP-G und RBM- zu identifizieren. HnRNP-G und RBM interagieren unspezifisch mit der SMN-RNA, jedoch spezifisch mit Htra2-beta1 und können durch Überexpression in Zellkultur sowohl das exogen- als auch das endogen-exprimierte SMN-Protein hochregulieren.
Die Aufklärung der molekularen Grundlage der SMA sowie die Identifizierung mehrerer trans-aktivierender Spleißfaktoren, die die Prozessierung der SMN2-RNA verändern können, eröffnen einmalige Chancen hinsichtlich der Entwicklung einer Therapie bei einer genetisch bedingten Erbkrankheit.
Um das Spektrum, der von Htra2-beta 1 regulierten Gene, zu identifizieren, haben wir konditionale Tra2-beta1 knock-out Mäuse generiert, die zur Zeit charakterisiert werden.
Die Anzahl der SMN2-Kopien korreliert mit dem Schweregrad der Erkrankung
Als wichtige Voraussetzung bei einer Therapie basierend auf der Heraufregulierung der SMN2-Volllängetranskripte ist die Kenntnis über die Anzahl der SMN2-Kopien eines SMA-Patienten (das sog. „Eigenkapital“). Hierzu ist es uns gelungen, einen neuen quantitativen Test, der auf der Echtzeit-PCR beruht und in einem LightCycler Gerät durchgeführt wird, zu entwickeln. Mit Hilfe einer gen-spezifischen PCR können wir die exakte Anzahl der SMN1- oder SMN2-Gene bestimmen. Es konnte eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der SMN2-Kopien und dem Schweregrad der Erkrankung gefunden werden. So entwickeln die meisten Patienten mit zwei SMN2-Kopien eine SMA Typ I, mit drei SMN2-Kopien eine SMA Typ II und mit vier SMN2-Kopien eine SMA Typ III.
Valproinsäure kann die Expression des SMN2-Gens heraufregulieren
Wir konnten eine neue Substanz, die Valproinsäure (VPA), identifizieren, die in Zellkultur eine Heraufregulation der SMN2-Expression bewirkt. VPA wird bereits als Medikament bei anderen Krankheiten eingesetzt und hat relativ wenige Nebenwirkungen. Daher haben wir eine erste klinische Studie bei 10 Eltern von SMA-Patienten durchgeführt. Bei 6 der 10 Eltern konnte eine Heraufregulation der SMN-Volllängetranskriprte unter der VPA-Therapie gemessen werden.
Dies ist das erst Bespiel in der Humangenetik, in der die Aufklärung der molekularen Grundlage der erblichen Erkrankung zur Entwicklung einer kausalen Therapie – durch Anregung eines Kopie-Gens – geführt hat.
In Einzelversuchen, wurden SMA-Patienten mit VPA behandelt (80µg/ml VPA im Serum) und es konnten nach ca. 5-6 Monaten erste Verbesserungen beobachtet werden. Eine koordinierte multizentrische Studie bei SMA Typ I Patienten mit VPA ist in Vorbereitung.
SMA modifizierende Gene
In seltenen Fällen können Personen mit homozygoten Deletionen des SMN1-Gens, die i. d. R. weiblichen Geschlechts sind, klinisch unauffällig sein, was auf den Einfluss von weiteren, eventuell geschlechts-spezifischen Faktoren hindeutet. Eine entscheidende Frage ist demnach: welcher Faktor schützt diese Individuen eine SMA zu entwickeln? Die Suche nach einem SMN modifizierenden Faktor ist daher sehr wichtig auch hinsichtlich einer SMA-Therapie.
Während in den meisten Familien betroffene Geschwister einen sehr ähnlichen Krankheitsverlauf zeigen, treten in einigen wenigen Familien unerwartete Ausprägungsunterschiede auf, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll: Familie P. hat drei Kinder: das eine ist mit 2 Jahren an SMA erkrankt und ist seit Kindesalter auf den Rollstuhl angewiesen, die anderen beiden sind im Alter von über 50 Jahren kerngesund. Alle drei tragen den gleichen Verlust des SMN1-Gens und haben die gleiche Anzahl der SMN2-Genkopien. Die beiden gesunden Geschwister werden offensichtlich durch das günstige Zusammenspiel von einem oder mehreren anderen Genen vor der Erkrankung geschützt.
Durch vergleichende Expression aller Gene von gesunden und betroffenen Geschwistern in lymphoblastoiden Zellinien (aus Blut stammend) haben wir das Plastin 3 als 39-fach unterschiedlich exprimiertes Gen identifiziert. Plastin 3 ist normalerweise in nahezu allen unseren Zellen exprimiert, jedoch nicht im Blut. Anders bei der oben beschriebenen Familie und fünf weiteren ähnlichen Familien: hier wurde Plastin 3 bei allen gesunden SMN1-deletierten Personen – alle Frauen- auch im Blut exprimiert, nicht jedoch bei den erkrankten Geschwistern. Auch wenn Blutzellen nicht für eine Erkrankung an SMA verantwortlich sind, gehen wir davon aus, dass Plastin 3 auch in den krankheitsverantwortlichen Nervenzellen des Rückenmarks dieser Personen überexprimiert wird. Warum und wie es überhaupt zur Expression von Plastin 3 im Blut kommt und weshalb nur Frauen geschützt werden, konnten wir trotz intensiver Suche nicht herausfinden. Um die Auswirkung einer Überexpression von Plastin 3 auf neuronale Zellen zu untersuchen, haben wir uns andere Zellsysteme und Modellorganismen zu Nutze gemacht. Das Herunterschalten des Plastin 3 Gens in neuronalen Zellen führt zu einer starken Reduktion des Wachstums der Nervenverlängerungen (Neuriten, Axone), ähnlich wie es für geringe SMN-Mengen beobachtet wurde. Die Axone der Motoneurone beim Menschen leiten die Impulse aus dem Rückenmark zu den Muskeln und werden beim Menschen normalerweise über 1 m lang. Eine Überexpression von Plastin 3 regt das Wachstum der Neuriten und Axone sehr stark an. Ganz besonders wichtig war der Nachweis einer Wiederherstellung des normalen Axonwachstums, wenn SMN herunterreguliert und Plastin 3 überexprimiert wird, womit der schützende Effekt auf den SMA-Phänotyp eindeutig nachgewiesen werden konnte. Diese Ergebnisse konnten in drei verschiedenen Systemen gezeigt werden: in neuronalen Zellen der Ratte, in Motoneuronen von SMA-Mäusen und im Zebrafisch. Es ist uns somit gelungen, nicht nur das erste vollständig schützende modifizierende Gen für eine erbliche Erkrankung beim Menschen zu identifizieren, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Pathomechanismus der SMA zu liefern, mit dem Ziel neue therapeutische Wege für diese oft tödliche Krankheit zu eröffnen.
B. Molekulare Untersuchung des transcription factor-like nuclear regulator Gens/Proteins (TFNR; 5q13) und der atypischen SMA-FormenMolekularbiologische und funktionelle Analyse eines möglichen Transkriptionsregulator-Gens (TFNR)
Untersuchung des TFNR-Gen als mögliches Kandidatengen für die Entstehung von Gehirnatrophien bei atypischen spinalen Muskelatrophien
Ergebnisse und Ziele
Anhand unseres klinisch gut charakterisierten Patientenkollektives konnten wir bei einer erheblichen Anzahl von Patienten, die als atypische SMA-Formen eingestuft worden sind, Deletionen im SMN1-Gen identifizieren und bei einem Teil dieser Patienten sehr große Deletionen innerhalb der SMA-Region nachweisen. Dieser molekulargenetische Befund veranlaßte uns, die SMA Fälle mit atypischen Symptomen (SMA plus atypische axonale Neuropathie, Gehirnatrophien etc), die z. T. familiär auftreten, als contiguous gene syndromes zu betrachten, wobei neben dem SMN-Gen sehr wahrscheinlich weitere benachbarte Gene deletiert worden sind, die für die zusätzlichen Merkmale verantwortlich sein könnten. Wir haben bereits ein 9,5 kb großes Transkript identifiziert, das besonders stark im Kleinhirn exprimiert wird, den kompletten kodierenden Bereich (2190 Aminosäuren) sequenziert, die Exon-Intron Struktur bestimmt und das Gen in die Nähe des SMN1-Gens lokalisiert. Aufgrund von Sequenzhomologien zu einem Transkription Faktor der Hefe und mehreren Transkriptions-regulierenden Domänen haben wir das Gen transcription factor-like nuclear regulator (TFNR) benannt.
Wir haben bereits Polyklonale-Antikörper gegen TFNR hergestellt, die zur funktionellen Analyse des Proteins und dessen Lokalisation dienen. Mit Hilfe dieser Antikörper konnten wir bereits feststellen, dass das Protein mehrere Isoformen aufweist und dass es ausschließlich im Nukleus exprimiert wird. Immunhistochemische Färbungen von Gehirnschnitten zeigte eine starke Expression des TFNR-Proteins im Kleinhirn. Das Protein stellt aufgrund einer einzigartigen 55-Aminosäuren langen, 9x sich wiederholenden Einheit ein noch zu erforschendes Rätsel dar. Aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zum SMN1-Gen und seiner Expression im Gehirn, ist TFNR ein exzellentes Kandidatengen für die atypischen SMA Formen mit Gehirnatrophie.
Patienten mit SMA und Gehirnatrophie werden z.Zt. molekulargenetisch und -biologisch untersucht. Um die Funktion von TFNR weiter aufzuklären, isolieren wir z. Zt. TFNR-interagierende Partner mittels des two-hybrid-Systems (einen echten Interaktionspartner konnten wir bereits identifizieren) und versuchen durch Expressionsstudien mit TFNR-modifizierten Konstrukten, die Funktion des 55-Aminosäuren-Motifs aufzuklären. Letztlich haben wir konditionale Tfnr (Bdp1) -knock-out Mäuse generiert, die im Moment untersucht werden.
Quelle: Universitätsklinik Köln - Institut für Humangenetik, Arbeitsgruppe Wirth
Weitere Informationen:
Prof. Dr. rer. nat. Brunhilde Wirth
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