Bericht von der 20.CureSMA - Forscherkonferenz 2016 in Anaheim, CA, USA
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- Kategorie: Allgemeines und übergreifende Forschung
Vom 16.-18.Juni 2016 fand die 20.CureSMA-Forscherkonferenz in Anaheim, CA, USA, statt. Neben dem Treffen für die SMA-Familien kommen auch die Forscher, Ärzte, Pharmaunternehmen und Patientengruppen zusammen, um sich über die Neuigkeiten bei der Suche nach einer Therapie für SMA auszutauschen. Nachfolgend ein kurzer Überblick vom Treffen erstellt von Dr. rer. nat. Niko Hensel, Institut für Neuroanatomie, Arbeitsgruppe Prof. Peter Claus, Medizinische Hochschule Hannover. |
20. CureSMA Treffen in Kalifornien – Bericht vom wissenschaftlichen Teil der Konferenz
Dr. rer. nat. Niko Hensel
Institut für Neuroanatomie, Arbeitsgruppe Prof. Peter Claus, Medizinische Hochschule Hannover
Die alljährliche Konferenz der US-amerikanischen Patientenorganisation CureSMA ist das weltweit bedeutendste Treffen zur Spinalen Muskelatrophie. Bei zahlreichen Vorträgen, Treffen und Workshops können sich PatientInnen sowie deren Angehörige austauschen. Zudem findet ein wissenschaftlicher Austausch statt. Ungefähr 300 WissenschaftlerInnen nahmen dieses Jahr an der Konferenz teil und berichteten in über 120 Präsentationen von ihren neuesten noch unveröffentlichten Daten.
Welche Herausforderungen ergeben sich, wenn es eine erste Therapie für die Erkrankung gibt, war eine wichtige Frage, die in zahlreichen Vorträgen aufgegriffen wurde. Hintergrund sind vielversprechende Fortschritte, welche sich in laufenden klinischen Studien ergeben haben (siehe dazu weiter unten). Diese basieren größtenteils auf der Erhöhung der SMN-Proteinmenge, um dadurch die Degeneration der Motoneurone aufzuhalten. Trotz dieser Fortschritte ist aus Tierexperimenten bekannt, dass eine therapeutische Intervention dann am vielversprechendsten ist, wenn sie möglichst früh, am besten vor dem Ausbruch der Erkrankung, einsetzt. Eine spätere Intervention könnte den Krankheitsverlauf zwar verlangsamen, wird jedoch wahrscheinlich nicht zu einer vollständigen Heilung führen. Dahinter verbirgt sich, dass eine Erhöhung der SMN-Proteinmenge nur dann besonders effektiv wirkt, wenn die Degeneration der Motoneurone noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass bereits stark degenerierte Motoneurone durch eine Erhöhung der SMN-Menge nicht gerettet werden können. Benachbarte, noch intakte Motoneurone könnten jedoch einspringen und dieser regenerative Prozess könnte durch die Gabe zusätzlicher Medikamente angeregt werden. In einer Reihe von Vorträgen wurde daher die Kombination von Therapeutika mit SMN-erhöhender Wirkung mit Medikamenten mit regenerativem Potential vorgeschlagen und dazu einige Kandidaten vorgestellt.
Heidemarie Kletzl, Vertreterin des Pharmaunternehmens Roche, stellte die sogenannte Moonfish-Studie vor, bei der die Substanz RG7800 an SMA-Typ II und III PatientInnen verabreicht wurde. Zuvor wurde in Tierversuchen gezeigt, dass RG7800 dazu in der Lage ist, die SMN-Proteinmenge zu erhöhen. Dies konnte auch in dieser Studie an SMA-Patienten bestätigt werden, allerdings wurde die Studie zunächst unterbrochen, weil sich in weitergehenden Tierversuchen bei sehr hohen Dosen eine Degeneration am Auge gezeigt hatte. Im Verlaufe dieses Jahres werde eine klinische Studie mit einer leicht veränderten Folgesubstanz starten, die ein höheres Potential und eine bessere Verträglichkeit habe.
Jerry Mendell vom Nationwide Children’s Hospital in Columbus, Ohio, berichtete von den neuesten Ergebnissen einer klinischen Studie mit Adeno-assoziierten Vieren (AAV). Diese sind so manipuliert, dass sie statt ihres Virengenoms ein humanes SMN-Gen in die Zellen einschleusen. Damit handelt es sich um den Versuch einer Gentherapie mit dem Virus-basierten Medikament AVXS-101. Einer kleine Gruppe von SMA-Typ I PatientInnen wurden zwei verschiedene virale Dosen mittels Infusion verabreicht. Verglichen mit dem zu erwartenden Krankheitsverlauf zeigten sich starke Verbesserungen des Überlebens sowie der motorischen Fähigkeiten. Dazu gehörten die Fähigkeiten zu krabbeln, ohne Hilfe zu sitzen und sich im Liegen zu rollen – motorische Meilensteine in der Entwicklung, welche von unbehandelten Typ-I PatientInnen normalerweise nicht erreicht werden.
Nusinersen, der Firmen IONIS Pharmaceuticals (ehemals ISIS) und Biogen, wird zurzeit in mehreren klinischen Studien getestet. Bei dem Medikament handelt es sich um ein sogenanntes Antisense Oligonukleotid (ASO). Das Wirkprinzip besteht wiederum in der Erhöhung der SMN-Proteinmenge. Dabei nutzt man die spezifischen Eigenschaften des humanen SMN2-Gens. Normalerweise produziert dieses Gen nicht genügend SMN-Protein. Der Grund liegt in der fehlerhaften Herstellung eines SMN-Zwischenproduktes. Das ASO Nusinersen kann sich jedoch direkt an das Zwischenprodukt anlagern, den Produktionsfehler korrigieren und darüber die SMN-Proteinmenge erhöhen. Nusinersen ist allerdings nicht Blut-Hirnschranken gängig. Das bedeutet, dass das Medikament direkt in das Hirnwasser durch eine sogenannte intrathekale Applikation gegeben werden muss. Enrico Bertini vom Bambino Gesù Children's Hospital in Rom berichtete von der sogenannten NURTURE Studie, bei der das Medikament an noch asymptomatische SMA-Kinder mit 2-3 SMN2-Genkopien noch vor den ersten Symptomen verabreicht werden soll. In diese Studie, welche in mehreren Ländern Europas stattfindet, sind bereits ein Großteil der geplanten 25 PatientInnen aufgenommen worden.
Richard Finkel vom Nemours Children’s Hospital in Orlando stellte eine weiter fortgeschrittene Studie mit Nusinersen an Typ-1 PatientInnen vor, welche bei Beginn der Studie bereits Symptome entwickelt hatten. Verglichen mit dem zu erwartenden Krankheitsverlauf zeigten sich auch hier deutliche Verbesserungen der Überlebensrate sowie der erreichten motorischen Fähigkeiten. Diese verbesserten sich ähnlich stark wie bei gesunden Kindern vergleichbaren Alters. Aufgrund der Applikation des Medikamentes in das Hirnwasser hinter der Blut-Hirnschranke erreicht es die inneren Organe jedoch nicht. Diese haben also nach wie vor nur geringe SMN-Proteinmengen zur Verfügung. Mit voranschreitendem Alter ist es daher möglich, dass die Funktion der inneren Organe eingeschränkt ist. Bisher sind bei den PatientInnen keine inneren Organe betroffen. Trotzdem ist dies im weiteren Verlauf denkbar. Möglicherweise versterben unbehandelte SMA-Typ I PatientInnen bevor eine solche funktionelle Einschränkung der inneren Organe sichtbar wird. Die Behandlung der SMA könnte also dazu führen, dass bei längerem Überleben bisher unbekannte Symptome auftreten. Auf diese Möglichkeit wurde auf der Konferenz immer wieder hingewiesen.
Ein gewichtiger Teil der wissenschaftlichen Beiträge auf der Konferenz beschäftigte sich mit den Grundlagen des SMA-Pathomechanismus, also mit der Frage, warum geringe SMN-Proteinmengen zu dieser Erkrankung führen. Obwohl sich die Strategie, die SMN-Proteinkonzentration zu erhöhen, als therapeutisch vielversprechend erwiesen hat, ist es nach wie vor nötig, den Mechanismus der Erkrankung zu verstehen. Auf dieser Grundlage können neue therapeutische Ansätze unabhängig von der Erhöhung der SMN-Menge entwickelt werden, die sich dann wiederum gut mit SMN-abhängigen Therapiestrategien kombinieren ließen. Solche neuen therapeutischen Strategien sind insbesondere nötig, um auch Patienten zu helfen, die bereits Symptome entwickelt haben. Aus den zahlreichen Beiträgen zum SMA-Pathomechanismus sei an dieser Stelle ein Beitrag von Brunhilde Wirth vom Universitätsklinikum Köln hervorgehoben.
Diese hatte in vorangegangenen Untersuchungen gezeigt, dass bei Kindern, welche im Vergleich zu ihren Geschwistern einen unerwartet milden SMA-Verlauf zeigten, ein bestimmtes Gen, das sogenannte Plastin3, überaktiv war. Da dieses Gen den Verlauf der Erkrankung verändert, spricht man auch von einem sogenannten protective genetic modifier. Doch was ist die Funktion dieses Gens? Plastin3 ist am Aufbau des dynamischen Zellskelettes, dem sogenannten Aktin, beteiligt. Dieses vermittelt gezielte Bewegungen von Zellen und auch Bewegungen innerhalb der Motoneurone. Die Arbeitsgruppe um Brunhilde Wirth konnte zeigen, dass ein bestimmter Bewegungs-Prozess, die Endozytose, durch Plastin3 reguliert wird. Diese ist für die Signal-Weiterleitung vom Motoneuron zum Muskel von Bedeutung. Interessanterweise konnte das Überleben einer SMA-Modellmaus durch die verstärkte Produktion von Plastin3 deutlich gesteigert werden.
Dieser Eingriff hatte keinerlei Einfluss auf die SMN-Proteinmenge und hat daher das Potential in Kombination mit SMN-erhöhenden Therapeutika eingesetzt zu werden. Das Aktin-Zellskelett spielte auch in mehreren Beiträgen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Peter Claus von der Medizinischen Hochschule Hannover eine wichtige Rolle: Unter anderem konnte gezeigt werden, dass sich das Aktin in SMA-Zellen in großen Aggregaten zusammenlagert, in denen weitere wichtige Moleküle gebunden und inaktiviert werden. Damit stehen sie der Zelle nicht mehr zur Verfügung. Interessanterweise sind solche Veränderungen charakteristisch für eine Reihe anderer Erkrankungen, bei denen Nervenzellen zugrunde gehen. Insgesamt wurde dadurch die Relevanz des dynamischen Zellskelettes für den Pathomechanismus der Spinalen Muskelatrophie deutlich.
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