Forschungsschwerpunkte AG Wirth, Uniklinik Köln - Institut für Humangenetik - Seite 2
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- Kategorie: Grundlagenforschung
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Die Anzahl der SMN2-Kopien korreliert mit dem Schweregrad der Erkrankung
Als wichtige Voraussetzung bei einer Therapie basierend auf der Heraufregulierung der SMN2-Volllängetranskripte ist die Kenntnis über die Anzahl der SMN2-Kopien eines SMA-Patienten (das sog. „Eigenkapital“). Hierzu ist es uns gelungen, einen neuen quantitativen Test, der auf der Echtzeit-PCR beruht und in einem LightCycler Gerät durchgeführt wird, zu entwickeln. Mit Hilfe einer gen-spezifischen PCR können wir die exakte Anzahl der SMN1- oder SMN2-Gene bestimmen. Es konnte eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der SMN2-Kopien und dem Schweregrad der Erkrankung gefunden werden. So entwickeln die meisten Patienten mit zwei SMN2-Kopien eine SMA Typ I, mit drei SMN2-Kopien eine SMA Typ II und mit vier SMN2-Kopien eine SMA Typ III.
Valproinsäure kann die Expression des SMN2-Gens heraufregulieren
Wir konnten eine neue Substanz, die Valproinsäure (VPA), identifizieren, die in Zellkultur eine Heraufregulation der SMN2-Expression bewirkt. VPA wird bereits als Medikament bei anderen Krankheiten eingesetzt und hat relativ wenige Nebenwirkungen. Daher haben wir eine erste klinische Studie bei 10 Eltern von SMA-Patienten durchgeführt. Bei 6 der 10 Eltern konnte eine Heraufregulation der SMN-Volllängetranskriprte unter der VPA-Therapie gemessen werden.
Dies ist das erst Bespiel in der Humangenetik, in der die Aufklärung der molekularen Grundlage der erblichen Erkrankung zur Entwicklung einer kausalen Therapie – durch Anregung eines Kopie-Gens – geführt hat.
In Einzelversuchen, wurden SMA-Patienten mit VPA behandelt (80µg/ml VPA im Serum) und es konnten nach ca. 5-6 Monaten erste Verbesserungen beobachtet werden. Eine koordinierte multizentrische Studie bei SMA Typ I Patienten mit VPA ist in Vorbereitung.
SMA modifizierende Gene
In seltenen Fällen können Personen mit homozygoten Deletionen des SMN1-Gens, die i. d. R. weiblichen Geschlechts sind, klinisch unauffällig sein, was auf den Einfluss von weiteren, eventuell geschlechts-spezifischen Faktoren hindeutet. Eine entscheidende Frage ist demnach: welcher Faktor schützt diese Individuen eine SMA zu entwickeln? Die Suche nach einem SMN modifizierenden Faktor ist daher sehr wichtig auch hinsichtlich einer SMA-Therapie.
Während in den meisten Familien betroffene Geschwister einen sehr ähnlichen Krankheitsverlauf zeigen, treten in einigen wenigen Familien unerwartete Ausprägungsunterschiede auf, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll: Familie P. hat drei Kinder: das eine ist mit 2 Jahren an SMA erkrankt und ist seit Kindesalter auf den Rollstuhl angewiesen, die anderen beiden sind im Alter von über 50 Jahren kerngesund. Alle drei tragen den gleichen Verlust des SMN1-Gens und haben die gleiche Anzahl der SMN2-Genkopien. Die beiden gesunden Geschwister werden offensichtlich durch das günstige Zusammenspiel von einem oder mehreren anderen Genen vor der Erkrankung geschützt.
Durch vergleichende Expression aller Gene von gesunden und betroffenen Geschwistern in lymphoblastoiden Zellinien (aus Blut stammend) haben wir das Plastin 3 als 39-fach unterschiedlich exprimiertes Gen identifiziert. Plastin 3 ist normalerweise in nahezu allen unseren Zellen exprimiert, jedoch nicht im Blut. Anders bei der oben beschriebenen Familie und fünf weiteren ähnlichen Familien: hier wurde Plastin 3 bei allen gesunden SMN1-deletierten Personen – alle Frauen- auch im Blut exprimiert, nicht jedoch bei den erkrankten Geschwistern. Auch wenn Blutzellen nicht für eine Erkrankung an SMA verantwortlich sind, gehen wir davon aus, dass Plastin 3 auch in den krankheitsverantwortlichen Nervenzellen des Rückenmarks dieser Personen überexprimiert wird. Warum und wie es überhaupt zur Expression von Plastin 3 im Blut kommt und weshalb nur Frauen geschützt werden, konnten wir trotz intensiver Suche nicht herausfinden. Um die Auswirkung einer Überexpression von Plastin 3 auf neuronale Zellen zu untersuchen, haben wir uns andere Zellsysteme und Modellorganismen zu Nutze gemacht. Das Herunterschalten des Plastin 3 Gens in neuronalen Zellen führt zu einer starken Reduktion des Wachstums der Nervenverlängerungen (Neuriten, Axone), ähnlich wie es für geringe SMN-Mengen beobachtet wurde. Die Axone der Motoneurone beim Menschen leiten die Impulse aus dem Rückenmark zu den Muskeln und werden beim Menschen normalerweise über 1 m lang. Eine Überexpression von Plastin 3 regt das Wachstum der Neuriten und Axone sehr stark an. Ganz besonders wichtig war der Nachweis einer Wiederherstellung des normalen Axonwachstums, wenn SMN herunterreguliert und Plastin 3 überexprimiert wird, womit der schützende Effekt auf den SMA-Phänotyp eindeutig nachgewiesen werden konnte. Diese Ergebnisse konnten in drei verschiedenen Systemen gezeigt werden: in neuronalen Zellen der Ratte, in Motoneuronen von SMA-Mäusen und im Zebrafisch. Es ist uns somit gelungen, nicht nur das erste vollständig schützende modifizierende Gen für eine erbliche Erkrankung beim Menschen zu identifizieren, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Pathomechanismus der SMA zu liefern, mit dem Ziel neue therapeutische Wege für diese oft tödliche Krankheit zu eröffnen.